Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 213 (Stand 10.12.) ist der Rems-Murr-Kreis zum Corona-Hotspot geworden, 1.098 Infizierte befinden sich in Quarantäne – davon 21 in Welzheim und 126 in Schorndorf – und bisher gibt es 138 Todesfälle zu beklagen. Dennoch verfällt die Bevölkerung nicht in Panik, sondern versucht, sich so gut wie möglich mit der Situation zu arrangieren. Und um Weihnachten im kleinen Kreis mit minimalem Risiko feiern zu können, verhalten sich viele noch vorsichtiger als sonst und vermeiden in den letzten Tagen vor dem Fest unnötige Risiken wie Reisen und Bahnfahrten. Schließlich will man im Kreis der Familie Geschenke austauschen und nicht den Coronavirus, schließlich wünscht man seinen Liebsten Gesundheit und ein langes Leben, schließlich achtet man aufeinander.
Man sollte meinen, dass in Zeiten wie diesen sogar die Corona-Verharmloser und Verschwörungsmythiker etwas kürzertreten, um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Und da wirkte eine Ankündigung der Schorndorfer „Querdenker“ zuerst wie ein schlechter Witz: diesen Samstag wollen sie zwischen 11 und 13 Uhr mit angekündigten 500 Leuten, einem LKW und wahrscheinlich einer lärmenden Trommel-Combo einen Umzug veranstalten – ausgerechnet durch das schöne Welzheim. Und man hat extra mehrere Gruppen hinzugerufen, vielleicht als Retourkutsche auf die verunglückte Querdenkerparade vom November, die von deutlichen Protesten der Welzheimer Bürger begleitet wurde. Das schaurige Motto der Veranstaltung: „Aufhebung aller Corona-Maßnahmen“. Die Verquer… – pardon: Querdenker meinen allen Ernstes, man müsse „die Grundrechte“ wieder herstellen.
Dass Bürger füreinander einstehen, einander schützen und angesichts der Pandemie Solidarität zeigen, empfinden die Leerdenker offenbar als eine Beschneidung ihrer Freiheitsrechte, die Schutzmasken als ein Symbol der Sklaverei, den Lockdown light als Zwangsmaßnahme einer Diktatur, als das Ende jeglicher Freiheit. Dabei bedeutet Freiheit doch gerade, dass ich auf den anderen Rücksicht nehme, dass die eigene Freiheit des einen nicht die des anderen unverhältnismäßig einschränkt. Wer frei ist, kann Rücksicht nehmen und Maß halten. Wer nur die eigenen Freiheitsrechte beschnitten sieht, wird blind für die Belange anderer – und so ist der Ruf nach der Aufhebung aller Corona-Maßnahmen nichts anderes als ein sehr kurzsichtiger Appell an den puren Egoismus. Ganz abgesehen von all den anderen Hirngespinsten, die man im Dunstkreis der Denkqueren so zu hören bekommt, seien es geheimnisvolle Eliten, die im Hintergrund die Strippen ziehen und sich von Kinderblut nähren, seien es Mikrochips in Impfstoffen oder ein sinistrer Plan zur Militärdiktatur. Fast möchte man meinen, die Covodioten-Klientel fürchte nichts so sehr wie das Ende der Pandemie – schließlich platzen alle ihre Mythen dann wie Seifenblasen und sie müssen mit der Schmach leben, Mitläufer bei Verschwörungstheoretikern, Aluhut-Esoterikern, Rechtsextremisten und Reichsbürgern gewesen zu sein.
Sicher: es ist legitim, über den Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen nachzudenken, sie zu diskutieren und gegebenenfalls nachzusteuern. Wer aber nur Sündenböcke für die Krisensituation sucht, der sollte die eigene Sichtweise selbst einmal kritisch hinterfragen und sich an die Spielregeln der Demokratie halten, deren Grundgesetz er oder sie zu verteidigen vorgibt. Wer sich nicht von Radikalen und Umstürzlern distanziert und lossagt, die unsere Demokratie im Grundsatz ablehnen, der schießt sich selbst ins Aus. Und wer mit unwissenschaftlichen Thesen und phanatischen Erzählungen aus den Tiefen des Internets argumentiert, die freien Medien zur „Lügenpresse“ und führende Virologen und Epidemiologen zum Teil des „Systems“ erklärt und ihnen die Expertise abspricht, der hat den Boden der Sachdiskussion längst verlassen. Es mag ja sein, dass es in der Krise ein bewährter Reflex ist, die Nähe Gleichgesinnter zu suchen, sich zu einer Gruppe zugehörig zu fühlen, sich als Teil eines Ganzen zu sehen und den eigenen Verstand an der Garderobe abzugeben. Wenn man sich dann noch gegenseitig suggeriert, es gäbe ja eigentlich gar keine Krise, sondern stattdessen „Schuldige“ auf die man seinen ganzen Frust abladen kann, lässt sich die eigen Sorge, Verantwortung und Solidarität vielleicht eine gewisse Zeit lang betäuben – aber statt Probleme zu lösen, entwickelt sich so vielmehr eine Meinungsblase, die zunehmend den Charakter einer Psychosekte aufweist.
Wir halten den Aufmarsch der selbsternannten Querdenker in der derzeitigen Situation für brandgefährlich und dumm, haben uns aber dazu entschieden, keine Gegendemonstration anzumelden. Denn genau damit würden wir das tun, was wir den Coronaschwurblern zum Vorwurf machen: Menschen willentlich in Gefahr bringen. Es hat sich in der Vergangenheit ja gezeigt, dass die Welzheimer Bürger durchaus in der Lage sind, mit zivilem Widerstand und schön gemalten Plakaten deutlich zu machen, was sie von solchen Aufmärschen halten; mit Maske und Abstand. Klar denken statt Querdenken – das ist das Gebot der Stunde.
Kai Dorra und Philip Köngeter
Super – sehr gut argumentiert und formuliert.
Spontan würde ich für eine Gegendemostration plädieren, aber ihr habt völlig recht – man sollte nicht mit denselben Methoden reagieren…Und dadurch Menschen in Gefahr bringen.
Könnte man nicht eine Unterschriftensammlung o.ä.im Netz organisieren im Sinne von “Welzheimer Bürger gegen Querdenken”.
Daß Welzheim jetzt in einem Atemzug mit einer doch recht großen Querdenkerdemo genannt werden muß, stört mich sehr.